Wenn ein Lied zur Zeitmaschine wird
Lieder sind kleine Katapulte der Emotionen und Erinnerungen. Gerade noch im Hier und Jetzt gefangen, schleudern sie uns in der ersten Hundertstelsekunde des Anfangsakkords in eine andere Welt. Die Diashow im Kopf startet. Unvermittelt. Unverhofft. Und sogleich hoffnungsvoll, dass dieses eine besondere Gefühl des verronnenen Augenblicks wiederkehrt und nie mehr verschwindet.
Für uns sind es diese Songs, die uns in der Zeit zurückreisen lassen.
Mexiko – En El Muelle de San Blas
Eine Cabaña am mexikanischen Strand. Darin ein bretthartes Bett mit löchrigem Moskitonetz. Davor eine Hängematte. Kein elektrisches Licht, kein fließendes Wasser. Morgens Kaffee aus dem Thermobehälter und frische Papaya. Mittags Arroz con Frijoles, Reis mit Bohnen. Spektakulär unspektakulär. Sobald sich aber das Mondlicht über den Strand legte und das Meer darin zu Glitzern begann, erwachte der verschlafene Ort zum Leben. In weißen Plastikbechern wurde Piña Colada serviert, während die Musik so laut gedreht wurde, dass sie den Lärm des Generators übertönte. Und so saßen wir auf unseren Schaukeln am Strand, den Becher in der Hand, den feinen Sand zwischen den Zehen und das Lied im Ohr.
Irland – Summer in Dublin
Dublin, du Perle Irlands, du liebliche Stadt, die mich in jenem Juni mit Sonne empfangen und verabschiedet hat. Deren Menschen, Pubs und Whiskey-Destillen ich tief in mein Herz geschlossen habe. In der ich Runde um Runde im grasgrünen Hop-On-Hop-Off-Bus gedreht habe, entlang des gar nicht stinkenden Liffey, vorbei an der Grafton Street und an Molly Malone. Wie ich den Erzählungen des Busfahrers lauschte, den irischen Volksweisen und Ronan Keating. Summer in Dublin wurde die Hymne meines Kurztrips, Molly Malone der Ohrwurm, der immer scharf dazwischengrätschte.
Norwegen – Heute hab ich gute Laune
Wir hatten uns alles so schön ausgemalt: drei Wochen Norwegen, drei Wochen Fjordlandschaften und Hochebene, Gletscher und Wasserfälle, Rentiere und Elche. Was wir bekamen waren drei Wochen Regen und Schnee, Wassermassen und Nebel, eine Kollision mit der Leitplanke und Corona. Wir waren nass und wurden nicht mehr trocken. Wir bekamen Fieber und Schüttelfrost. Es war schlimm und wurde immer schlimmer. Wir mussten die Reise abbrechen und 2.173 Kilometer nach Hause fahren. Ohne Menschenkontakt, ohne Fähre, fast ohne Pause. Doch wenn nichts mehr hilft, hilft Helge Schneider. Irgendwie hat er es auf unsere Norwegen-bei-Regen-Playlist geschafft. Im Fieberwahn vermutlich.
USA – And All that Jazz
Jazz hat in genau zwei Formen seine Berechtigung: Als Kindheitserinnerung ans musikalische Intro der legendären Knoff-Hoff-Show und als Overture des Musicals Chicago. Aus den Lautsprechern plärrend an den Fountains of Bellagio in Las Vegas. Wenn die Wasserfontänen des Springbrunnens sich wie frisch Verliebte umschlingen, sich im Takt der Musik hin- und herwiegen, jeder kleinste Tropfen nach oben wirbelt und Pirouetten dreht, um dann mit der Big-Band-Schlussphrase wie ein sterbender Schwan in sich zusammenzusacken. Wenn das nicht mal romantisch ist.
Curaçao – Kokomo
There’s a place called Kokomo. Nö, natürlich nicht. Zumindest, wenn man es genau nimmt. Wenn man es nicht ganz so genau nimmt, dann befindet sich dieser nette Marketing-Gag und Phantasie-Ort wiederum ziemlich genau in der Mitte von Curaçao. Menschen am Strand, eisgekühlte Schirmchen-Drinks: alles da. Tauchen kann man dort auch recht passabel und dann bei einem Deko-Getränk aufs Meer schauen und alles gut sein lassen.
Ägypten – Ich muss gar nix
Unsere erste Tauchsafari. Bestes Boot, bester Guide. Essen, schlafen, tauchen. Alles vom Feinsten. Und damit man bei all dem Stickstoff im Blut und der ägyptischen Sonne im Gesicht den Sinn des Lebens nicht ganz vergisst, wurden wir beim Aufrödeln auf dem Tauchdeck entsprechend beschallt. Laut, unbarmherzig, gnadenlos.
Australien – A Horse with No Name
Wenn ich ans Outback denke, flimmert vor meinem inneren Auge die Luft. Blick nach vorn: eine einzige Fata Morgana. Blick in den Rückspiegel: nichts. Blick nach links: auch nichts. Blick nach rechts. wieder nichts. Kein Baum, kein Berg, kein Haus. Ab und an ein totes Känguru neben der Straße, seltener ein Flaschenbaum. Ein wildes Kamel hier, ein wildes Pferd da. Ohne Reiter, ohne Namen. Im Radio unseres Mietwagens dieses Lied.
Mexiko – Rose Garden
Im mexikanischen Dschungel. Temperatur knapp über 30 Grad, Luftfeuchtigkeit knapp unter 100 Prozent. Kleine Schweißperlen auf Oberlippe und Stirn verwandeln sich in Sturzbäche. Der Schweiß brennt in den Augen, die Kleidung klebt am Körper. Als alle steilen Stufen zu den Tempeln und Pyramiden erklommen sind, bringt uns der Minibus zurück in die Zivilisation. Die Klimaanlage läuft, doch der Deo hat längst versagt. Und während das olfaktorische Spektakel in der Nase beißt, sehnen wir uns den betörenden Duft eines Rosengartens herbei, als der Song im Radio düdelt.
USA – That‘s Not My Name
Auf dem Weg ins Death Valley, Stippvisite in Las Vegas. Alles war so neu, so verrückt, so grell, so laut, so aufgedreht. Auch die Musik, die über den betonierten Vorplatz einer dieser typischen amerikanischen Shoppingmalls hallte und schon von Weitem zu hören war […] They call me quiet
But I’m a riot […] They call me hell […] that‘s not my name. Da begann vor lauter Ekstase sogar kurz die große Zehe zu wippen.
Reiseerinnerungen im Bild









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